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Lesezeichen [ Kontakt Info QR-Code Entertainment ]Fr 6 Okt 2017 18:37:19


 Café BilderBuch.Berlin.Pressespiegel.
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Nimm mich, lies mich, lass mich frei!

Lesefreunde, die nicht nur literarische Spannung lieben, haben sich in Berlin zu einer Szene organisiert: Sie verstecken Bücher in Supermärkten oder unter Parkbänken und hoffen, dass andere sie finden. Eine Internetseite erleichtert die Suche. Das Motto der Bookcrosser: "Regalhaltung ist Literaturquälerei". VON CHARLOTTE NOBLET

Die Szene erinnert an einen "Tatort"-Krimi. Eine junge Frau betritt den Plattenladen an der Bergmannstraße in Kreuzberg. Sie nähert sich einem Plattenkasten, blickt verstohlen um sich, endlich, ein unbeobachteter Moment. Eilig zieht sie den Roman "High Fidelity" von Nick Hornby aus ihrer Tasche - und steckt das Buch diskret zwischen zwei Platten. Dann verschwindet sie.

Irgendwann wird irgendein Kunde es nichtsahnend finden, der Schriftzug auf dem Cover wird ihm einen ersten Hinweis geben: "Nimm mich mit, lies mich und lass mich wieder frei!". Der Band ist eines der rund fünftausend Bücher, die ständig durch Berlin wandern - von Wohnzimmern in Supermärkte, aus denen zurück in fremde Schlafzimmer. In der Hauptstadt hat sich seit einem Jahr stillschweigend eine besondere Kulturszene etabliert: Weil Bücher im Regal literarisch vergeudet sind, setzen Bücher-Verrückte sie überall in der Stadt aus. Ein diskreter Tauschverkehr hat sich peu à peu entwickelt, und süchtige Mitmacher gibt es schon - sie organisieren sich über die Internetseite www.bookcrossing.com.

Die 1.200 "Bookcrosser" Berlins haben Spaß daran, die Bücher mal im Theaterklo, mal im Computerpool der Uni zu verstecken. Dieses wilde Freilassen geht naturgemäß nicht ohne Überraschungen vor sich: Malik etwa, der sich im Internet nur "Arabo-berbere" nennt, hat einmal ein Buch in einem Bus der Linie 129 versteckt - und es drei Tage später wieder gefunden: "Ich dachte, dass die BVG wenigstens manchmal ihre Busse sauber macht", sagt der 35-Jährige.

Die Buchtauscher geben sich Hinweise im Netz - hier kann man versteckte Bücher registrieren und Fundorte erfahren (siehe Kasten). Sogar der zwischenmenschliche Austausch wird möglich: Wer ein Buch findet, erfährt auf der Website, wer es ausgesetzt hat.

Die Täterin aus dem Plattenladen heißt Friederike Kornsbein ("BalooP"). Die 28-Jährige arbeitet als Bibliothekarin beim Bundestag. "Ich fand die Idee einer weltweiten Bibliothek einfach spannend und wollte es mal ausprobieren", erzählt sie. "Ich bin seit April letzten Jahres dabei. Nach meinem ersten Bookcrosser-Treffen im vergangenen August bin ich ziemlich schnell süchtig geworden." Sie ist von der Vorstellung fasziniert, dass die Bücher selbstständig reisen, wie man es vom Gartenzwerg aus "Die fabelhafte Welt der Amelie" kennt. "Sie lernen Ecken der Welt kennen, die ich selbst nie sehen werde." Bücher, die sie selbst nicht mochte, bekommen eine zweite Chance und finden vielleicht noch einen Liebhaber.

Friederike Kornsbein sucht bewusst nach dem richtigen Ort, ein Werk zu verstecken. Neulich hat sie "Schokolade zum Frühstück" von Bridget Jones in die Schoko-Abteilung von Edeka in der Friedrichstraße gelegt. Oft fällt der Bezug schwerer, dann setzt sie ihre Bücher auf Bänken Unter den Linden aus - Orte, die leicht zu finden sind.

Auch eine Szene, die vom Loslassen lebt, kommt nicht ohne Regeln aus: Ein Buch darf weder in einer Buchhandlung - wegen der Konkurrenz - noch am Flughafen - wegen drohenden Bombenalarms - ausgesetzt werden.

Wie viele ihrer Bücher unterwegs sind, weiß Friederike Kornsbein nicht mehr: "Ich führe keine Statistik und habe etwas den Überblick verloren." Eine Wiederholungstäterin.

Antonia Plönzke, alias "Fe-rien", führt dagegen präzise Buch. 36 Bände sind es, die die Studentin verliehen hat. 16 in freier Wildbahn, 20 an Freunde. Von 14 Fremden, die ein Buch von ihr fanden, hat sie bisher Rückmeldungen übers Netz bekommen. "Darüber freue ich mich jedes Mal riesig. Man weiß, dass das Buch irgendwo gut angekommen ist." Die 26-Jährige vermutet, dass 80 Prozent der ausgesetzten Werke nicht wieder auftauchen: "Das bedeutet aber nicht immer, dass das Buch in den Mülleimer geworfen wurde. Es gibt auch Finder, die das Buch mitnehmen, es lesen und behalten - oder es irgendwo anders wieder aussetzen, ohne es zu registrieren." Menschen ohne Netzzugang, so ein Nachteil des Crossing-Konzepts, bleiben außen vor - sie können nur nehmen, aber keine Bücher auf die Reise schicken.

Antonia Plönzke bedauert, dass in ihrem Bezirk Zehlendorf kaum Literatur ausgesetzt wird. Mit Begeisterung nutzt sie andere Tauschmöglichkeiten: Im Schöneberger Café Bilderbuch, Akazienstraße 28, steht ein Regal, dass ständig zum Mitnehmen und Einstellen verführt.

Für Ausgaben, die ihr besonders am Herzen liegen, nimmt die Studentin am so genannten "BookRing" teil. Genau wie Bibliothekarin Kornsbein: "Per Internet-Forum kann ich eine Liste mit interessierten Bookcrossern erstellen. Das Buch wandert dann mit der Post von einem zum anderen, schließlich landet es wieder bei mir."

Antonia Plönzke geht oft am zweiten Dienstag des Monats ins Café Bilderbuch: Dort treffen sich regelmäßig Literaturanhänger. "Diese Treffen sind sehr international, wahrscheinlich weil die Szene weitweit funktioniert." Hier sprechen sie etwa Crossing-Sonderaktionen ab: Zum Beispiel eine Massenaussetzung am Potsdamer Platz im Juni, bei der sie mehr als 150 Bücher zwischen den Hochhäusern verteilten.

Die literarische Schnitzeljagd ist inzwischen eine Sportart geworden: Einige Bookcrosser verstecken ihre Bücher so gut, dass nur andere Experten sie entdecken können. Ihnen geht es nicht mehr darum, ein Buch für jedermann zugänglich in der Öffentlichkeit liegen zu lassen. Zu dieser eingeschworenen Clique gehört Sandra Wickert, im Netz auch "Siz". Sie sucht nur dann, wenn die Chance, das Buch auch wirklich zu bekommen, einigermaßen realistisch ist: "Also nicht, wenn als Aussetzungsort im Netz ,Auf einer Bank im Park' steht." Ehrgeizige Bookcrosser wie sie locken nur noch Ausschreibungen wie "Im Kaisers hinter den Persil Megapearls".

Quelle: die tageszeitung (taz Berlin lokal), 28. Juli 2004, S. 23.

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Der Inhalt dieser Seite wurde am 22.05.2016 um 15.58 Uhr aktualisiert.
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